Lasörlinger Höhenweg (2014)

Text: Regine Steib

begangen von  Birgit, Regine, Ingrid

 

Der Lasörling Höhenweg ruft

Geistige Umnachtung zeigt sich, wenn beim Aufbruch der frisch sanierte Wanderstiefel vor der Haustür stehen bleibt. Gott sei Dank hab ich einen gehtauglichen Halbschuh am Fuß – der muss dann wohl reichen. Am Guggenbergparkplatz 1148m bei Matrei in Osttirol treffen wir uns- Ingrid, Regine und Birgit – sonntags gegen halb zwei. Birgit ist schon ein paar Tage früher hier und bei durchwachsenem Wetter ein paar Touren  gegangen. Unsere Beschreibung verspricht uns neben vielen Naturschönheiten herrlichste Aussichten auf Venedigergruppe und Großglockner im Norden und die Dolomiten im Süden. Der Weg selbst ist sehr variantenreich, also wollen wir je nach Wetterlage und Gipfellaune kurzfristig entscheiden. Das Wetter zeigt sich freundlich und angenehm frisch.

So 17.8./ 1. Etappe/ ca. 1300 hm

Sonntag frühnachmittags steigen wir mit spürbarem Rucksack Richtung Zunigalm 1855m auf. Auf dieser kleinen Hütte haben wir reserviert, da nur 15 Schlafplätze zur Verfügung stehen und ihr ein guter Ruf in Sachen gutes Essen und Ursprünglichkeit vorauseilt. Wir wandern durch verwunschene Wälder in denen viele uralte, mit Flechten überwachsene Lärchen in bizarren Formen eine märchenhafte Stimmung erzeugen. Es wachsen enorm viele Goldröhrlinge (entweder hier als Speisepilz unbekannt oder aus Überfluss anderer Arten verschmäht), sodass man sich kaum irgendwo hinsetzen kann, ohne einen davon zu plätten. Gute zwei Stunden später erreichen wir die Zunigalm, in der wir uns von einer authentisch wirkenden, supersympathischen älteren Wirtin mit geflochtenem Haarkränzchen und Schürze mit selbstgemachtem Apfelstrudel und Kaffee verwöhnen lassen. Der Großglockner nebst wunderschönem Bergpanorama im Hintergrund lässt den Kuchen doppelt lecker schmecken. Mit leichtem Gepäck starten wir anschließend noch mal los, um den kleinen Zunig 2443m zu erklimmen. Die Landschaft wird baumfreier und besteht hier aus steilen Grasbergen mit See und auch sonst viel Wasser. Hier gibt`s viele Kühe, die idyllisch vor sich hin fressen, so wundern wir uns auch über eine Kuh am Grat. Die Gipfelaussicht ist grandios: Dolomiten, Großglockner, Venedigergruppe, alles da. Beim späten Abstieg beäugen wir die bereits auf der Terrasse sitzenden Gäste, mit denen wir vermutlich die Schlafplätze unseres 8er Lagers teilen werden, darunter eine dreinäsige Männergruppe mittleren bis fortgeschrittenen Alters aus Berlin und ein hochdeutsch sprechendes junges Paar. Unser Lager besteht aus vier Doppelbetten am Stück, das letzte unter einer unangenehm flachen Mansarde seitlich. Umdrehen ist da ein Kunststück. Unten schon die ersten beiden Plätze besetzt. Wir belegen die äußeren oberen Plätze und losen unter uns den vorletzten Platz aus…  Der Berliner auf Platz Nummer vier kriecht morgens etwas steif aus dem Bett…

 

Mo 18.8./ 2.Etappe/ ca. 900 hm

Wetter ist gut, Stimmung auch, so spazieren wir, leicht verschlafen, von der Zunigalm 1855m zur 2346m hoch liegenden Zupalseehütte. Diese Etappe ist laut Beschreibung mit 5,5 h angegeben. Die Wiesenberge begleiten uns, wieder Wasser, Pilze, Blumen – die Seele baumelt so dahin. Auf einer Kuh Weide rückt Ingrid und mir eine äquivalent drein schauende Kuh auf den Pelz. Mir ist mulmig und ich suche das Weite während ich im Hintergrund Ingrid höre: „mia doa ma da nix!“. Wir schmunzeln, während Ingrid mit weichen Knien ihren Apfel opfert. Könnt ja sein dass eine Kuh vor lauter Idyll mal Lust bekommt jemanden auf die Hörner zu nehmen. Ein rotes Auto am Grat???Die Osttiroler parken ihre Dinge wohl vorzugsweise am Grat. Pünktlich zum Kaffee erreichen wir die recht frei stehende und damit auch windige Zupalseehütte am Zupalsee. Die uns bereits bekannten, nach und nach eintreffenden Wanderer werden uns ein Weilchen auf unserem Weg begleiten, deshalb  geben wir den 3 Berlinern den Spitznamen „die Schröters“ und das Pärchen wird heut Abend zu „die Verlobten“. Hinter dem Haus heizt die Sonne richtig ein und der ein oder andere lässt sich zu einem kühlen Bad verleiten. Wir besteigen frisch gestärkt lieber noch den 2720m hohen Zupalkogel und folgen dem Grat entlang einen von der Hütte empfohlenen Rundweg. Wieder wunderschöne, steile Grashänge, unendliche Weite – wer könnte da nicht an traumhafte Abfahrten denken? Zurück in der Zupalseehütte haben wir heute unterm Dach viel Platz zum schlafen, eine gemütlich warme Stube, Schnaps zur Feier der Verlobung unseres Pärchens und Regen – den hatten wir erst einen Tag später erwartet.

 

Di 19.8./ 3. Etappe / ca. 600 hm

Nach einer regnerischen und windigen Nacht folgt morgens Nebel: „Wenns an Nebe hod segd ma jo nix!“ gebe ich zum Besten, Birgit und Ingrid nicken und lachen. Immerhin verzieht sich Regen und Nebel bald und die Sonne lässt sich sehen. Der heutige Abschnitt führt sanft auf und ab und wir marschieren ohne Umwege Richtung Lasörlinghütte. Das Wetter hält durch und wir erreichen die Lasörlinghütte 2293m gerade noch trockenen Fußes. Der etwas muffelige Wirt macht uns wegen eines gemeldeten Kälteeinbruchs keine großen Hoffnungen auf die morgige alpine Etappe. Nach der Brotzeit und verebbtem Regenguss wollen wir noch übers Virgentörl hinab zum Virgensee – aufs Gritzer Hörndle beide ca. 2630m – der Tag ist ja noch jung. Unterwegs entspinnt sich ein Gespräch, das in seiner Essenz etwa so geartet ist:….miassad ma eigentlich amoi an Rodwein dringa….oba do griagd ma so schnei Kobfweh…I han Dablettn dabei  …i a andane….i hed a oi…..hm…..mei mit Schnaps wad ma auf da sichan Seitn!, meint Birgit und erntet allgemeine Zustimmung. Sie sieht am Weg ein Lasörlinghörnchen (weder Eichhörnchen noch Marder!) Ansonsten ist alles ganz normal oder kann auch dem Gipfelschnaps geschuldet sein… Zurück auf der Hütte sind die anderen Wanderer inzwischen auch weitgehend da. Die Lasörlinghütte ist groß und wir beziehen ein geräumiges 3Bett- Zimmer. Auffallend der intensive Geruch nach Raumdeo, der sich in den sanitären Einrichtungen in automatischen Sprühstößen auf den arglosen Gast herabsenkt und zum Rückzug zwingt. Strategie? In der gemütlichen, warmen Stube verbringen wir einen weiteren entspannten Abend bei Spiel und Tee und hoffen auf kommenden Tag.

 

Mi 20.8./ 4.Etappe/ ca. 1300 hm

Der Kälteeinbruch ist noch nicht angekommen, es ist nur leicht neblig und sogar halbwegs trocken, also wollen wir die anspruchsvollste Etappe des Höhenwegs Richtung Neue Reichenberger Hütte 2586m gehen, wir überschreiten heute drei Mal  annähernd 2800m: Das Prägraten Törl 2846 – Zwischenabstieg – Scharte im Nordgrad des Stampfleskopfes 2753 – steiler Abstieg zum Kleinbachboden – Gegenanstieg zur Roten Lenke 2786 – Abstieg zur Reichenberger Hütte. Unterwegs meint Birgit: „Do schauts ja scho fast a bisserl traumhaft aus!“  Leider wird’s trotz der netten Bemerkung zunehmend grauer und feuchter. Das Prägraten Törl hat´s ganz schön in sich, der Aufstieg ist steil und ziemlich instabil. Wir setzen die Tritte konzentriert und sind froh, dass sich der Abstieg als entspannter erweist. Die Nässe bringt die verschiedensten Gesteinsarten am Weg zum leuchten. Grün, türkis, weiß und rot – wer kennt sie nicht, die umgekehrte Aschenputtel-Metamorphose: herrlichste Färbungen von kiloweise heimgeschleppten Steinen verwandeln sich zu einheitlichem mausgrau. Nach einer landschaftlich wunderschönen Etappe, sogar bei Regen, erreichen wir erschöpft die Neue Reichenberger Hütte, die erneut sehr malerisch an einem See liegt. Der Wirt der einzigen DAV Hütte begrüßt uns mit einem humorvollen, tirolerisch eingefärbten Spruch und gibt uns die Vorlage bayrisch zu kontern. Um unserem Gipfelritual treu zu bleiben besteigen wir bei universeller Nässe noch den Bachlenkenkopf 2759m und sammeln heute ordentlich Höhenmeter. Abends lassen wir uns bei Regen in der warmen Hütte lecker Essen gefallen, plötzlich wird’s draußen ganz leise und irgendwer meldet: „draußen schneit`s!“ Die Frage an den Wirt wie der Weg weiter ginge beantwortet der Wirt mit seinen Händen: Er deutet nach links, dann nach rechts und macht Auf- und Abwärtsbewegungen. Wir lachen, sind aber genau so schlau wie zuvor. Auch eine Möglichkeit keine Auskunft zu geben.

 

Do 21.8./ 5.Etappe/ 1000 hm hinab

Eingeschneit, besser eingezuckert. Blauer Himmel, beleuchtete Wolken und Morgensonne lassen uns schnell vergessen, dass hiermit endgültig alle eplanten 3000er-Besteigungen dieses Höhenwegs geplatzt sind. Die Hüttenwirte geben uns jedoch grünes Licht für den weiteren Weg, der noch längere Zeit relativ hoch, aber ohne gefährlichere Passagen verläuft.  Die Natur zieht noch einmal alle Register: die Stimmungen wechseln mit den Ausblicken – traumhaftes Panorama. Langsam senkt sich der Weg, wir gelangen wieder in die schneefreie Zone. Wir laufen auf einem sehr schmalen, abschüssigen Steig. Rechts erheben sich  steil stattliche Wiesenberge, links senkt sich das Grün steil und sehr tief in eine Senke, um da ganz unten in einem klaren blauen Bach, zwischen Altlawinenresten ins Tal zu donnern. Es wird wieder milder und plötzlich entdecken wir auf einer Almwiese ein Edelweiss und noch eins und noch eins – eine ganze Wiese auf völlig unspektakulärem Terrain. Wir freuen uns auch über die verschiedenen Enziane und die Türkenbundlilie, aber die Edelweisse stehlen ihnen ein bisschen die Schau. Wir steigen immer weiter ab und nähern uns immer mehr dem tosenden Bach, der Teil der großen Umbalwasserfälle ist.  Damit erreichen wir auch wieder die Zivilisation mit vielen Tagestouristen und einem ohrenbetäubenden Murmeltierschrei unmittelbar vor uns, der uns gleichermaßen fast eine Herzattack  beschert. Es ist wohl immer Geschmackssache wenn Naturschönheiten mit Holzbalkenzäunen, Täfelchen, Aussichtsplattformen und Gedichten aufbereitet werden, die Umbalwasserfälle wären auch so schön. Bei der letzten Einkehr auf der Islitzer Alm besorgt uns der zuvorkommende Wirt umgehend ein Taxi zum Parkplatz bei Matrei. Nachdem nicht nur ich vergesslich bin, sondern auch Ingrid ihre Lampe auf der Zunigalm liegen lassen hat, fahren wir noch mal per Auto hoch zur Zunigalm, wo wir Brotzeit machen und unserer Haarkranzerl-Oma von unserem Weg erzählen, bevor wir die Heimreise antreten.

 

Fazit: Das  Leben einer Höhenweitwanderers reduziert sich aufs angenehmste auf Weg, Hütte, leckere Verköstigungen, sowie wichtige und unwichtige, aber amüsante Lebensweisheiten.

 

{phocagalleryview=category|categoryid=168|limitstart=0|limitcount=15|detail=0|displayname=1|displaydetail=1|displaydownload=1|imageshadow=shadow1|enableswitch=1}